Dieses Thema ist ein abendfüllendes Programm...ich denke da spielen mehrere Faktoren eine Rolle.
Ich durfte mich im vergangenen Semester in der Uni in einem Soziologie-Kurs mit genau diesem Thema auseinandersetzen (selten habe ich so leicht eine 1,3 bekommen und dabei so einen Spaß gehabt
). Daher möchte ich mal die wesentlichen Punkte aufzählen, die meiner Meinung nach dafür verantwortlich sind, warum Amateurfussball in Deutschland - mit Ausnahme von ein paar sehr fussball-affinen Standorten - ein eher kränkelndes Dasein fristet. Und tatsächlich lassen sich generelle Entwicklungen in der Gesellschaft auch auf die Entwicklung der Popularität des Amateurfussballs (und auch des Fussballs generell) beziehen.
Zunächst mal würde ich behaupten, dass Fussball in den Köpfen der Menschen heute einen anderen Stellenwert besitzt. Wir erleben jetzt zwar seit etwa 10 Jahren (ich sehe den Startpunkt immer bei der WM 2006) einen unglaublichen Fussball-Boom in Deutschland. Aber man muss sich da mal das Publikum anschauen, welches wirklich zu den Spielen hingeht, bzw. Fussball übers Fernsehen konsumiert. Diesbezüglich sind die Zahlen im Vergleich zu den letzten 50 Jahren insgesamt stark angestiegen und man hat das generelle Gefühl, dass sich mehr Menschen für Fussball intressieren. Das "System Fussball" hat das für sich auch erkannt und tut durch Marketingstratregien viel dafür, neue Zielgruppen zum Fussball zu bringen. Das klingt erstmal alles schön und gut, hat aber auch so seine Schattenseiten: Denn ein Großteil der "hinzugewonnen Zuschauer" konsumiert zwar regelmäßig Fussballspiele, hat aber eine andere Einstellung zum Spiel als das früher vielleicht der Fall war. Ich nenne als Beispiel dabei jetzt nur mal die ganzen Fussball-Hipster, die ein Fussballspiel eher als Freizeitbeschäftigung bzw. als Möglichkeit ansehen, etwas zusammen mit Freunden zu unternehmen. Wir habens doch alle wohl schon erlebt, wie diese Hipster während des Spiels eher am Smartphone hängen als wirklich dem Geschehen aufm Platz zu folgen
. Die Grundeinstellung ist eher: "Ich gehe zum Fussball, weils cool ist zum Fussball zu gehen" anstatt "Ich mag diesen Sport und identifiziere mich damit".
Das radikalste Beispiel dafür sind Public Viewing Events während Welt- und Europameisterschaften. Ich hab das während der WM 2010 mal vorm Olympiastadion in Berlin mitgemacht - nie wieder! Für das Spiel intressiert sich da kaum einer, der Großteil der Leute feiert sich da eher selbst (es ist eben ein Event).
Dementsprechend fehlt vielen Fussballzuschauern, obwohl sie Fussball vielleicht sogar regelmäßig verfolgen auch automatisch die Expertise über "das Spiel an sich", sowie eine - ich nenne es mal - "natürliche Fussball-Begeisterung" über größere Events hinaus. Zu WM und EM gucken wirklich alle Leute Fussball und in Deutschland herrscht 4 Wochen lang Partystimmung. Viele schalten vielleicht auch mal bei einem Champions League-Spiel von Bayern oder Dortmund ein. Dass wars dann aber auch.
Kurzum: das Freizeit-Verhalten - insbesondere der jüngeren Generationen - hat sich durch ein reichhaltigeres Freizeitangebot verändert. Eine weitere Entwicklung, die da reinspielt, ist sicherlich die TV-Präsenz von Fussball. Heute kann man von Montag bis Sonntag jeden Tag Fussball gucken (und wer kein sky hat guckts eben im Internet in nem Livestream). Irgendwann ist man da einfach übersättigt und tut sich zusätzlich zur BuLi-Konferenz am Samstag dann am Sonntag eben nicht noch den Verbandsliga-Kick zwischen dem FC Alte Heide II und Eintracht Pfützensee an.
Das "System Fussball" tut mit seinen Vermarktungsstrategien auch alles dafür, dass diese Entwicklung anhält. Und die großen Vereine und großen Spieler werden mittlerweile zu absoluten Heldenfiguren stilisiert, so dass jeder 8-jährige halt lieber mit nem Messi-Trikot zur Schule gehen will als mit nem Trikot von einem Verein aus der Region. Und in der Freizeit spielen die Kids die großen Spiele eben lieber auf der Konsole nach.
Dementsprechend ist es für kleinere Vereine im Profifussball und für unterklassige Vereine auch schwierig neue Zuschauer zu gewinnen, da sich die Durchschnitts-Zielgruppe eben auch nur für die großen Vereine und großen Spieler intressieren. Die Zahl an "Fussball-Interessierten" hat also insgesamt deutlich zugenommen, die Zahl an tatsächlichen "Fussball-Begeisterten" (wie wir sie wahrscheinlich definieren würden) allerdings nicht. Wobei ich zugeben muss, dass es diesbezüglich bislang noch keine gescheiten Studien, geschweige denn valide Statistiken gibt (Auftrag an mich: über dieses Thema meine Abschlussarbeit schreiben
).
Natürlich gibt es ein paar Ausnahmen, speziell im Ruhrpott (wo Fussball eben noch richtig "gelebt" wird und auch zu unterklassigen Spielen die Zuschauerzahlen gelegentlich im vier- bis fünfstelligen Bereich sind). Der Ruhrpott hat diesbezüglich vielleicht auch den Standortvorteil, dass viele Vereine mit reicher Historie und ausgeprägter Lokalrivalität häufiger gegeneinander spielen als vergleichbare Vereine in ländlicheren Regionen.
Ich will meinen Post jetzt nicht unnötig akademisch aufblasen, möchte aber kurz noch Pierre Bourdieus Begriffe vom Zugehörigkeitsgefühl zu einer gesellschaftlichen Schicht, bzw. einer Gruppe und dem Sport als Katalisator für ein Gemeinschaftsgefühl anbringen:
Eine gewichtige Rolle spielt sicherlich der Punkt, den Mischka schon ansprach: In anderen Ländern haben viele Menschen - speziell in ländlicheren Regionen - in ihrer Freizeit eben nicht viele andere Möglichkeiten als den lokalen Fussballklub. Es läuft auch weniger Fussball im Fernsehen. Der Stellenwert und die Identifikation mit dem lokalen Klub ist dementsprechend ausgeprägter und um das Zusammengehörigkeitsgefühl zu zeigen wird eben auch mehr Stimmung gemacht.
Man könnte an diesem Punkt die Thematik übrigens weiterspinnen und diese soziologischen Theorien (allen voran das Gemeinschaftsgefühl von Gruppen) auch auf die Ultrakultur anwenden - aber ich habe jetzt genug geschrieben
.