Brisantes Fußball-Derby zwischen BFC und Union
Matthias Wolf
BERLIN. Michael Knape gibt sich gelassen. "Da wird nichts passieren. Das Ganze hat mittlerweile nur noch den Charakter eines Freundschaftsspiels", sagt der Einsatzleiter der Polizei. Freundschaft - ein gewagter Begriff, wenn der BFC Dynamo gegen den 1. FC Union spielt. Doch in der Tat ist das Stadtduell am Sonnabend (14 Uhr, Sportforum) sportlich bedeutungslos. Das Spiel bezieht allein aus einer Tatsache seine Brisanz: Es ist in Berlin die letzte Partie vor der Fußball-WM, bei der womöglich eine größere Zahl an Hooligans vor Ort ist.
"Das ist die Generalprobe für die WM. Die Polizei fürchtet sich vor Negativschlagzeilen", sagt Rainer Lüdtke, Fanbeauftragter des BFC. Er glaubt zu wissen, dass 2 000 Beamte im Einsatz sein werden: "Es ist ein Wahnsinn, was da aufgefahren wird." Knape hingegen spricht von weniger als tausend Einsatzkräften. "Das wird in jeder Beziehung ein faires Spiel", sagt er.
Aufenthaltsverbote
Gut möglich, dass dies nur das offizielle Statement ist. Denn die Polizei zieht einige Register. Als unlängst der BFC gegen Babelsberg spielte, kamen auf knapp 500 Fans halb so viele Polizisten. Dieser Tage verschickte das Landeskriminalamt an den harten Kern aktenkundiger Fans von BFC und Union Aufenthaltsverbote. Sie dürfen nicht einmal in die Nähe des Stadions kommen, ein beigelegter Stadtplan weist die Sperrzone aus. Erstmals dürfen bei einer Oberligapartie in der Hauptstadt vor den Fanblöcken keine Fahnen am Zaun angebracht sein - für freie Sicht auf die Massen.
Dynamo musste, um die Partie überhaupt in Hohenschönhausen austragen zu dürfen, zusätzliche Trennzäune anbringen. Und das, obwohl viele Unioner das Derby ignorieren. Die Rede ist von Polizeiwillkür und Repressalien, die Grund für einen Boykott seien. Außerdem lautet der Tenor in Köpenick: Der Aufstieg ist geschafft, da muss man dem BFC nicht noch Geld in den Rachen werfen. Eine Fangruppe lädt alternativ ab 13.30 Uhr zum Grillen auf den KWO-Platz.
Ohne Emotionen wird es im Sportforum zweifellos nicht abgehen. Nicht nur, weil es nach dem 0:8 des BFC im Hinspiel "um die Ehre geht", wie Lüdtke sagt. Viele Fans werden wieder an den umstrittenen Polizeieinsatz in der Diskothek Jeton in der Nacht vor dem Derby erinnert, als es 158 Festnahmen und 21 Verletzte gab, dazu 77 Strafanzeigen gegen beteiligte Beamte. Gegen Knape, damals auch federführend, sollen noch hunderte weitere Anzeigen, auch von Unbeteiligten, eingegangen sein in Zusammenhang mit dem blutigen SEK-Einsatz.
Ergebnislose neun Monate
Der Leitende Polizeidirektor Knape sagt nur noch, dass er "gar nichts mehr sagt. Das ist Sache der Staatsanwaltschaft". Die hat die Ermittlungen längst abgeschlossen, aber immer noch nicht entschieden, ob die Sache eingestellt wird oder ob es ein Verfahren gegen Führungskräfte der Polizei gibt.
Die Betroffenen fühlen sich hingehalten, beklagt Anwalt René Lau, der viele Fans vertritt. "Es ist meine Vermutung, die von Richtern bestätigt wird: Die Polizeibehörden verzögern und wollen ohne Verhandlung über die WM-Zeit kommen", sagt Lau. "Und sie hoffen, dass danach keiner mehr drüber spricht." Der Hintergrund sei klar: "Die Nachricht von einer Entscheidung zu Lasten der Polizei würde vor der Weltmeisterschaft im Ausland für großes Aufsehen sorgen."
Allerdings würde auch erst ein solches Urteil den Weg für zivilrechtliche Prozesse auf Schadenersatz ebnen für jene Jeton-Besucher, die das Vorgehen der Polizei für überzogen erachten und sich ihrer Freiheit beraubt fühlten. Lau hat deshalb in einigen Fällen Beschwerde beim Amtsgericht Tiergarten eingereicht. Doch nachdem nun fast neun Monate ins Land gezogen sind, resigniert manch einer bereits: "Vielen Fans ist Unrecht geschehen, doch ich befürchte, dass wird unter den Teppich gekehrt", sagt Lüdtke.
Berliner Zeitung, 13.05.2006